lohnanalyse: Die Inflation ist auch für Arbeitnehmer eine große Herausforderung, denn ihre Kaufkraft sinkt mit der Erhöhung der Konsumpreise. Wie soll sich ein Arbeitnehmer gegenüber einem Arbeitgeber nun verhalten?
Conrad Pramböck: Viele Jahre lang lag die Inflation in Westeuropa im Bereich zwischen 1 und 3 %, ähnlich wie auch die durchschnittlichen Gehaltserhöhungen. Die Corona-Krise hat alles durcheinandergerüttelt. Seit 2021 steigt die Inflation stark an, und ein Ende ist nicht absehbar. Dies ist nicht überraschend, denn rund ein Drittel der Geldmenge der gesamten Menschheitsgeschichte wurde seit 2020 durch die Notenbanken geschaffen, um die Folgen der Corona-Lockdowns zu finanzieren.
Es ist nachvollziehbar, dass es nicht ohne Folgen blieb, die gesamte Weltwirtschaft über einen längeren Zeitraum zum Stillstand zu bringen. Der astronomische wirtschaftliche Schaden ist im Moment der Ausrufung der Lockdowns im März 2020 entstanden und hat seither zur größten Verschiebung von Vermögen von unten nach oben geführt. Nun bleibt nur noch die Frage, wer für den Schaden aufkommt.
Die Milchmädchenrechnung ist einfach: Wenn alles im Schnitt um 10 Prozent teurer wird, sollten auch die Löhne um 10 Prozent steigen. Viele Mitarbeiter argumentieren ihrem Arbeitgeber gegenüber genau so. Allerdings bilden die Personalkosten in den meisten Unternehmen den größten Kostenblock und liegen meist zwischen 30 und 70 Prozent der gesamten Kosten. Wenn die Gehälter stark angehoben werden, steigen auch die Kosten für die Unternehmen deutlich. Ihre Gewinne schmelzen, oder sie müssen ihrerseits ihre Preise anheben.
Wir befinden uns mitten in einer Lohn-Preis-Spirale. Jeder versucht nach seinen Möglichkeiten, den politisch verursachten Schaden der Lockdown-Politik auf die anderen abzuwälzen: Die Mitarbeiter durch höhere Löhne, die Unternehmen durch höhere Preise. Wer seine Forderungen nicht durchsetzen kann, zahlt die Zeche und ist der große Verlierer.
lohnanalyse: Ist die Inflation ein passender Moment, in eine Lohnverhandlung zu gehen?
Conrad Pramböck: Wer in Zeiten hoher Inflation sein Einkommen nicht steigert, nimmt einen realen Kaufkraftverlust hin. Am Markt können wir derzeit beobachten, dass Menschen mit hohem Gehalt der Inflation recht gelassen begegnen. Einem Millionär ist grundsätzlich gleichgültig, ob Milch und Brot ein paar Prozent teurer geworden sind. Der größte Druck geht derzeit von Personen mit niedrigem Einkommen aus. Wenn Lebensmittel, Energie, Treibstoffe und Mieten deutlich ansteigen, steht dieser Gruppe bildlich gesprochen das Wasser bis zum Hals. Genau jetzt ist der Zeitpunkt für Lohnverhandlungen.
lohnanalyse: Welche Argumente soll sich ein Arbeitnehmer zurechtlegen, um eine ansprechende Lohnerhöhung zu erzielen?
Conrad Pramböck: Meine Empfehlung lautet, das Thema Inflation auch in der Gehaltsverhandlung anzusprechen. Schließlich sprechen wir derzeit nicht von ein paar Prozent pro Jahr, sondern von massiven Erhöhungen, die das Leben der Mitarbeiter erheblich erschweren. Die Rahmenbedingungen haben sich deutlich verändert, und es ist durchaus berechtigt, diesen Grund für die Lohnerhöhung zu thematisieren.
lohnanalyse: Ist eine Lohnerhöhung in der gleichen prozentualen Höhe wie die Inflation durchsetzbar (8-9%)?
Conrad Pramböck: Die Macht in der Gehaltsverhandlung hat jene Person, die das bessere BATNA hat. BATNA steht für „Best Alternative to a Negotiated Agreement“. Mit anderen Worten: Wer hat die besseren Karten, wenn sich die Verhandlungspartner nicht einigen? Wenn der Arbeitgeber aus 50 gleich qualifizierten Kandidaten wählen kann, muss er nicht auf die individuellen Wünsche des einzelnen eingehen. Gibt es nur einen einzigen Kandidaten, und legt dieser vielleicht noch ein Gegenangebot eines Konkurrenten vor, ist der Arbeitgeber in der schwächeren Position und muss sich nach den Vorstellungen des Kandidaten richten.
Seit Frühjahr 2021 erleben wir in vielen Ländern der Welt, dass qualifizierte Mitarbeiter schwer zu finden sind. Manche Personalchefs verzweifeln sogar und fragen sich, wo das große Schwarze Loch ist, in das all die Mitarbeiter seit der Corona-Krise hineingefallen sind. Dies betrifft vor allem Techniker, IT-Mitarbeiter, Finanzexperten (etwa in Controlling und Buchhaltung) und gute Vertriebsmitarbeiter. Manche Branchen, wie etwa Hotellerie oder Gastronomie, haben durch die Lockdowns rund 30 Prozent ihrer Mitarbeiter nachhaltig verloren und können sie nur mit größter Anstrengung zurückholen.
Viele Mitarbeiter, vor allem gut qualifizierte Kräfte zwischen 25 und 35 Jahren, sind sich ihrer Marktmacht bewusst und können nicht nur 8 bis 9 Prozent, sondern deutlich mehr herausverhandeln. Wenn Unternehmen dringend rekrutieren müssen, sind sie gewillt, auch viel höhere Gehälter zu bezahlen. Wer sich am Markt bewegt und gut verhandelt, kann sein Einkommen sogar um 30 bis 50 Prozent steigern. Die Schere zwischen jenen Mitarbeitern, die am Markt gefragt sind, und dem Rest wird immer größer. Schließlich vergrößert jede Krise die finanziellen Unterschiede in der Gesellschaft.
lohnanalyse: Verliere ich meine Kaufkraft nicht so oder so? Inflation senkt meine Kaufkraft und mit einer Lohnerhöhung riskiere ich, in eine höhere Steuerklasse eingestuft zu werden.
Conrad Pramböck: Ein kluger Steuerberater meinte zu mir: Jeder solle sich freuen, viel Steuer zu zahlen, denn wer viel Steuern zahlt, verdient auch viel. Nicht zu verhandeln und nichts zu verdienen, ist in Zeiten hoher Inflation sicherlich die schlechteste Option.
lohnanalyse: Wie lautet Ihr abschließendes Fazit?
Conrad Pramböck: Alle sprechen vom Thema Nachhaltigkeit, doch wir leben in Zeiten, die absolut nicht nachhaltig sind. Jedem muss klar sein, dass Wirtschaft, Gesellschaft und Sozialstaat auf Dauer keine 10 Prozent Steigerung pro Jahr vertragen. Irgendwann kommt unvermeidlich der große Crash. Die Corona-Maßnahmen haben den weltweit größten finanziellen Schaden der Menschheitsgeschichte verursacht, und jeder versucht nun mit allen Mitteln, den Schaden auf die anderen abzuwälzen.
In Zeiten hoher Inflation muss jeder, ob Unternehmen oder Privatperson, auf das eigene finanzielle Überleben achten. Je größer der finanzielle Druck, desto mehr Verhandlungsgeschick ist gefragt. Denn ein Ende der Zeiten hoher Inflation ist bis auf weiteres nicht in Sicht.
Info zum Autor
Conrad Pramböck ist internationaler Gehaltsexperte. Er führt weltweit Gehaltsvergleiche durch und berät Unternehmen bei der Gestaltung marktüblicher, motivierender Gehaltssysteme. Als Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Upstyle Consulting GmbH unterstützt er Firmen und Privatpersonen in allen Gehaltsfragen, unabhängig von Branche, Position oder Hierarchieebene. Sein aktuelles Buch ist „Die Kunst der Gehaltsverhandlung“.
Mehr Infos unter https://conradpramboeck.com